Das Internet stirbt – dieses Mal wirklich! – Warum KI unsere digitale Wissensgrundlage gefährdet

Ein neues Problem für das Web

Das Internet stirbt – mal wieder. Diese Aussage klingt wie ein alter Hut, schließlich wurde der Tod des Webs schon mehrfach ausgerufen: durch Apps, durch soziale Netzwerke, durch algorithmisch gefilterte Feeds. Doch diesmal ist etwas anders. Die aktuelle Bedrohung geht nicht nur von sich wandelnden Nutzergewohnheiten aus, sondern von einem technologischen Umbruch, der das Netz an seiner inhaltlichen Substanz angreift: Künstliche Intelligenz.

KI verändert nicht nur, wie wir kommunizieren, sondern auch, was überhaupt noch an Inhalten produziert und geteilt wird. Das wirkt sich tiefgreifend auf unsere Informationskultur aus – und auf jedes Unternehmen, das online sichtbar sein möchte.

KI frisst das Netz – und sich selbst

Längst werden massenhaft Texte, Bilder und sogar ganze Webseiten von KI generiert. Was früher aufwendig redaktionell erstellt wurde, lässt sich heute in Sekunden maschinell erzeugen. Doch was zunächst wie Effizienzgewinn wirkt, birgt ein tiefgreifendes strukturelles Risiko: KI lernt aus dem Netz – und dieses Netz besteht zunehmend aus KI-generierten Inhalten.

Eine im Fachjournal Nature veröffentlichte Studie von Ilia Shumailov (University of Oxford) zeigt, wie fatal das ist: Wenn KIs mit KI-generierten Daten trainiert werden, sinkt die Qualität der Inhalte rapide. Nach nur wenigen Trainingsrunden sind die Ergebnisse kaum noch verständlich. Dieses Prinzip – die Maschine lernt von sich selbst und wird dabei schlechter – droht zur Realität des Netzes zu werden.

Ähnlich verhält es sich in der Bildgenerierung mit dem sogenannten „Golden Retriever Effekt“; einem Phänomen in der KI-Bildgenerierung, bei dem durch wiederholtes Training mit bereits von KI erzeugten Bildern die Vielfalt zunehmend verloren geht. Ein Beispiel: Wenn eine KI anfangs mit Bildern verschiedener Hunderassen trainiert wird, kann sie diese gut nachbilden. Werden jedoch ihre eigenen Ergebnisse erneut als Trainingsbasis verwendet, dominiert nach und nach das, was am häufigsten und durchschnittlichsten war – etwa der Golden Retriever. Seltene oder ungewöhnliche Merkmale verschwinden, das Ergebnis wird monoton und austauschbar. Übertragen auf Text bedeutet das: Vielfalt, Nuancen und Tiefe gehen verloren. Die Konsequenz: eine digitale Verdummung.

Zugleich entstehen immer mehr Fake-Webseiten, die KI-generierten Content automatisiert veröffentlichen – oft ohne menschliche Kontrolle oder redaktionelle Qualitätssicherung. Was früher als „Spam“ abgetan wurde, erreicht nun ein neues Niveau an Relevanz, weil Suchmaschinen zunehmend Schwierigkeiten haben, menschliche von maschinellen Inhalten zu unterscheiden. Google etwa lieferte im vergangenen Jahr bei der Bildsuche nach „Tank Man“ – den anonym gebliebenen Mann, der weltweit bekannt wurde, weil er sich auf dem Tiananmen-Platz einer Kolonne von Panzern entgegenstellte – ein KI-generiertes Selfie als Top-Ergebnis.

Doch der strukturelle Schaden geht tiefer: Es gibt kaum noch Anreize, überhaupt echte Inhalte zu veröffentlichen. Wo einst Sichtbarkeit und Traffic lockten, sorgen heute KI-Zusammenfassungen (z. B. bei Google oder Bing) dafür, dass Nutzer gar nicht mehr auf die Ursprungsseiten klicken. Die ursprüngliche Win-win-Situation – „Inhalt gegen Aufmerksamkeit“ – droht zu kippen.

Content verschwindet – und mit ihm die Idee eines freien Internets

In Reaktion auf diesen Wandel verschiebt sich das Netz: Immer mehr hochwertige Inhalte wandern hinter Paywalls. Neuer und vor allem hochwertiger Content menschlicher Urheberschaft verschwindet zusehends aus den frei verfügbaren Bereichen. Gerade große, freie Plattformen wie Reddit, Wikipedia oder die meisten Online-Foren beobachten und fürchten diesen Trend schon seit einiger Zeit: KI-generierte Texte von minderer Qualität fluten ihre Plattformen. Das verwässert nicht nur die Qualität der Inhalte, sondern birgt auch die Gefahr, dass KI-Scraper diese KI-generierten Artikel zur Vorlage neuer Texte nehmen und somit eine Art Teufelskreis entsteht, an dessen Ende das frei zugängliche Internet zu einer Müllhalde minderwertiger KI-Texte wird.

Das Internet wird mit der Zeit so nicht nur immer „dümmer“, sondern durch die Paywalls wird auch einer der ursprünglichen Mechanismen zerstört, der dem Internet zu seinem Siegeszug durch die letzten Jahrzehnte verholfen hat: dem Internet als freien Marktplatz der Ideen – frei zugänglich, kollaborativ, demokratisch. War das Internet in seiner Blütezeit eine Möglichkeit für Menschen sich ohne hohen zeitlichen wie finanziellen Aufwand auf der gesamten Welt zu vernetzten und zu informieren, scheint dieses beinahe Habermas‘sche Ideal einer Plattform zu schwinden. Verziehen sich immer mehr Autoren hinter Paywalls zurück, schränkt das die Zugänglichkeit ein und der Austausch, von dem Konsumenten wie Produzenten gleichermaßen profitierten, wird verhindert. Das freie Internet schwindet und verwandelt sich so Schritt für Schritt in eine fragmentierte Struktur aus geschlossenen Räumen, flankiert von einer Masse an inhaltsleerem KI-Output im öffentlichen Bereich.

Eine Verarmung des Internets mit Folgen für Unternehmen

Die Lage ist paradox: Noch nie war es so einfach, Inhalte zu produzieren – und doch war die Substanz des Internets selten so bedroht wie heute. Die Qualitätsspirale nach unten, ausgelöst durch selbstreferenzielle KI-Systeme, könnte schon in wenigen Jahren drastische Auswirkungen haben. Die Kombination aus sinkender inhaltlicher Qualität im freien Netz und wachsender Abschottung hochwertiger Inhalte hinter Paywalls droht die ursprüngliche Idee des Internets zu zerstören.

Für Unternehmen hat das weitreichende Konsequenzen:
Wer auf digitale Sichtbarkeit setzt, muss künftig noch sorgfältiger zwischen Reichweite und Relevanz abwägen. Glaubwürdigkeit, menschliche Perspektiven und transparente Quellen werden zum entscheidenden Differenzierungsmerkmal. Gleichzeitig braucht es neue Kommunikationsstrategien, um im KI-geprägten Informationsraum sichtbar und vertrauenswürdig zu bleiben.

Wer als Marke nicht im Meer aus inhaltslosem KI-Rauschen untergehen will, muss heute mehr denn je in echte Inhalte investieren – und den Dialog mit echten Menschen suchen.